Interview Paul Maar

Theatergruppe: Sehr geehrter Herr Maar, Sie werden im Dezember 85 Jahre alt und veröffentlichen bald bereits Ihr elftes Sams-Buch. Wie schafft man es, mit einer doch immer größer werdenden Distanz zur eigenen Kindheit weiter gute Kinderbücher zu schreiben?


Paul Maar: Man muss einfach das Kind in sich bewahren. Gelingt dies, ist es egal, ob man 35 oder 85 Jahre alt ist.


Das erste Buch dieser Reihe erschien 1973, Ihr eigentliches Erstlingswerk „Der tätowierte Hund“ bereits 1968. Hat sich die Art, Kinderbücher zu schreiben, verändert? Haben sich die Themen oder Inhalte verändert?


In erste Linie schreibe und schrieb ich fantastische, möglichst humorvolle Geschichten. Es gibt aber einen anderen Erzählstrang bei mir, der nur nicht so sehr im Bewusstsein der Leser ist. Dazu zähle ich etwa „Andere Kinder wohnen auch bei ihren Eltern“, „Kartoffelkäferzeiten“, „Große Schwester, fremder Bruder“ oder zuletzt „Neben mir ist noch Platz“, wo von einem syrischen, geflüchteten Mädchen erzählt wird.


Sie haben „In einem tiefen, dunklen Wald …“ 1999 veröffentlicht. Doch mit seinen Themen scheint es, als würde das Märchen absolut in den Zeitgeist passen, als wäre es inmitten der Hochphase der Gender-Debatte und der leider weiter

bestehenden Ungleichheit zwischen Männern und Frauen verfasst worden. Würden Sie dem zustimmen?

 

Ja, das Stück hat gerade eine neue Aktualität gewonnen.


Würden Sie das Buch heute, 23 Jahre später, dennoch etwas anders schreiben?


Ich denke nicht. Bestimmten Themen nimmt man die Verbissenheit, mit der sie häufig geführt werden, wenn man sie humorvoll präsentiert.


„Und außerdem bist du ein Mädchen“, sagt der König ohne Bart von Lützelburgen zu seiner Tochter Simplinella, als sie sich anbot, Henriette-Rosalinde-Audora zu retten. Glauben Sie, dass der König das wirklich so glaubte? Oder hat er sich auch nur den Konventionen gebeugt?


Er hat es wirklich geglaubt. Meine (Stief-)Mutter erzählte, dass sie eigentlich Lehrerin werden und auf die Realschule gehen wollte, ihr Vater dies aber untersagte mit der Begründung, sie sei doch kein Junge.


„Dass man damals meinte, Mädchen würden ja doch nur von einem Prinzen geheiratet und müssten deshalb nur schön sein. Denn die Geschichte ist ja schon sooo lange her.“ Simplinella beweist ihrer Familie zwar später, dass sie definitiv mehr konnte als nur schön zu sein, ja bei der Rettungsaktion sogar besser war als ihr Bruder. Aber auch heute, sooo lange Zeit nach der Geschichte, scheint es, als müssten Mädchen immer von Neuem wieder beweisen, dass sie etwas können. Warum, meinen Sie, ist das so?


Weil Menschen, die so argumentieren, eben immer noch dem traditionellen Denken verhaftet sind.


In diesem Märchen scheint es generell so zu sein, dass die Kinder den Erwachsenen einen Schritt voraus sind. Sie wissen besser, was zu tun wäre, und scheinen oft schlauer zu sein oder zumindest weniger „eng“ zu denken. Ist das ein Versuch, auch Erwachsene anzusprechen und zu sagen: „Hört doch auch mal auf eure Kinder!“? oder „Lass doch mal einen neuen Gedanken zu!“?


Meist denken Kinder unbefangener und vorurteilsloser als die Erwachsenen. Während die Erwachsenen eher einteilen in „Der ist Deutscher, der ist Türke“, teilen die Kinder im Kindergarten eher ein in „Der ist nett, der ist doof!“, egal, ob der Nette oder der Doofe Ali oder Bruno heißen.


Müsste man dann nicht eigentlich mehr solcher Geschichten für Erwachsene statt für Kinder schreiben? Kinder, wie hier am Beispiel von Simplinella oder Lützel, scheinen von sich aus ja gar nicht in solchen vorgegebenen, eingrenzenden Rollenbildern zu denken. Es sind ja erst die Eltern, die diese Grenzen aufstellen?


[…] Es kann erhellend wirken, wenn sich auch Erwachsene „In einem tiefen, dunklen Wald“ anschauen oder das Buch (vor-)lesen.


Sie arbeiten viel mit Wortwitz und Situationskomik. Ist das als eine Art Comic Relief gedacht? Oder ist das etwas, was Kindern einfach gefällt?


Ich werde bei Lesungen und in Kinderbriefen in meiner Überzeugung bestärkt, dass Witz, Wortspiel und Komik bei Kindern immer gut ankommen.


[…] Sind Sie manchmal überrascht, dass Theatergruppen manche Szenen oder gar ganze Figuren anders interpretieren, als Sie es sich beim Schreiben gedacht hatten?


Ja, das kommt sogar häufig vor. Ich freue mich dann, wenn ich etwa feststelle, dass in manchen Nebenfiguren viel mehr Potential steckt, als ich es mir beim Schreiben vorstellte. Der Regisseur hat es entdeckt und herausgearbeitet.


Wenn Paul Maar mit einer Figur aus „In einem tiefen, dunklen Wald …“ in Bamberg einen Kaffee trinken gehen dürfte. Welche wäre das?


Ohne Zweifel Simplinella.


Vielen Dank für das Interview, Herr Maar!


                                      Das Interview wurde von Tobias Braun TG St. Anton durchgeführt.

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